Aktuelles EGSZ Corona Update

Auswirkungen der Corona-Krise auf die Verpflichtung zur Mietzahlung im Gewerbemietrecht (Stand: 4. Februar 2022)

Vor allem zu Beginn der Corona-Pandemie wurden zahlreichen Mieter von Ladenlokalen durch den „Lockdown“ zur Schließung ihrer Ladengeschäfte gezwungen. Die wirtschaftlichen Folgen für die betroffenen Unternehmen und Unternehmer waren verheerend und oftmals existenzbedrohend. Die Schließungen wurden von den Gesundheitsbehörden mit dem Ziel angeordnet, die Sozialkontakte zu reduzieren und hierdurch die Ausbreitung der Pandemie einzudämmen. Hierbei stellte sich auch die Frage, ob der Mieter in diesen Fällen zur Mietminderung berechtigt war oder eine Vertragsanpassung insbesondere bezüglich der Höhe der Miete fordern konnte. Diese Rechtsfrage hat der Bundesgerichtshof (BGH) nunmehr mit Urteil vom 12. Januar 2022 (XII ZR 8/21) entschieden. Hiernach ist der Mieter über die Rechtsgrundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB grundsätzlich für den Zeitraum der behördlichen Schließungsanordnung zur Reduzierung der Miete berechtigt. Wie weit der Mieter die Miete reduzieren kann, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Hierbei sind insbesondere die konkreten Verdienstausfälle des Mieters für das streitgegenständliche Mietobjekt und seine während dieser Zeit anderweitig erzielten oder erzielbaren Einkünfte zu berücksichtigen, aber auch die Regelungen im konkreten Mietvertrag zu berücksichtigen.

Sachverhalt und Verfahrensablauf

Die Beklagte hat von der Klägerin Räumlichkeiten zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs gemietet. Der Mietvertrag enthält in § 5 Nr. 3 die folgende Regelung: „Wenn die Gas-, Strom- und Wasserversorgung oder Entwässerung durch einen nicht von dem Vermieter zu vertretenden Umstand unterbrochen wurde oder wenn Überschwemmungen oder sonstige Katastrophen eintreten, steht dem Mieter ein Recht auf Mietminderung oder Schadensersatz nicht zu.“.

Aufgrund der im März 2020 in Deutschland verbreiteten Corona-Pandemie erließ das hier zuständige Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt am 18. und 20. März 2020 Allgemeinverfügungen, aufgrund derer die Beklagte ihr Textileinzelhandelsgeschäft im streitgegenständlichen Mietobjekt vom 19. März 2020 bis einschließlich zum 19. April 2020 schließen musste. Infolge dieser behördlich angeordneten Betriebsschließung entrichtete die Beklagte für den Monat April 2020 keine Miete.

Während das Landgericht (LG) Chemnitz mit Urteil vom 26. August 2020 (4 O 639/20) die Beklagte zur Zahlung des Mietzinses in voller Höhe verurteilte, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Dresden mit Urteil vom 24. Februar 2021 (5 U 1782/20), dass aufgrund der Unvorhersehbarkeit der Corona-Pandemie für beide Vertragsparteien der Mietzins in diesen Fällen pauschal um 50 % zu reduzieren sei.

Problematik der Corona bedingten behördlichen Schließungsanordnungen

Die mietvertraglichen Vorschriften des BGB enthalten in der Regel keine Regelungen, wie sich Pandemien auf die Pflicht des Mieters zur Mietzahlung auswirken. Selbiges gilt für die ersten gesetzlichen Neuregelungen zur Corona-Pandemie. Das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie“ enthält lediglich eine Regelung (Art. 240 § 2 EGBGB), wonach der Vermieter den Mietvertrag nicht allein aus dem Grund kündigen kann, dass der Mieter im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 die Miete nicht gezahlt hat. Ebenso wenig wird dieser Fall durch die „Corona-Schutzverordnung“ der jeweiligen Bundesländer geregelt, diese regeln lediglich die Voraussetzungen für die Schließung von Ladenlokalen abschließend, nicht jedoch die privatrechtlichen Folgen der Schließung.

Dieses Problem hat auch der Gesetzgeber erkannt und versucht mit der Einführung des Art. 240 § 7 EGBGB zu lösen. Diese Vorschrift enthält eine widerlegliche Vermutung in tatsächlicher Hinsicht, dass die Geschäftsgrundlage in den Fällen einer behördlichen Schließungsanordnung gestört sei. Problematisch hieran ist, dass diese Regelung unstrittig nur für das sog. „reale Merkmal“ der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB gilt, dass sich also ein Umstand, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat. Die weiteren Merkmale und Voraussetzungen der Vorschrift, dass die Parteien bei Kenntnis der Umstände den Vertrag nicht oder nicht so geschlossen hätten (d.h. das „hypothetische Merkmal“ und die Unzumutbarkeit in Bezug auf das Festhalten am Vertrag) bleiben unberührt. Im Rahmen der (Un-) Zumutbarkeit wird wertend im Einzelfall geprüft, ob einer Vertragspartei gesetzlich oder vertraglich das Risiko zugewiesen wurde, welches sich in der Störung der Geschäftsgrundlage realisiert hat. Da dies aber gerade aufgrund der gesetzgeberischen Wertung, dass der Mieter von gewerblichen Mietobjekten grundsätzlich das Nutzungsrisiko der Räumlichkeiten trägt, in den Fällen der behördlichen Schließungsanordnungen wegen der Corona-Pandemie das entscheidende Tatbestandsmerkmal ist, ist Art. 240 § 7 EGBGB im Ergebnis eine Regelung ohne echten Anwendungsbereich.

BGH-Urteil vom 12. Januar 2022 (XII ZR 8/21)

Da folglich keine gesetzliche Regelung für Fälle der behördlichen Schließungsanordnungen wegen der Corona-Pandemie vorliegt, blieb die Beurteilung solcher Sachverhalte der Rechtsprechung vorbehalten. Diese war jedoch seit Beginn der Pandemie uneinheitlich. Hierfür braucht man sich nur die Vorinstanzen zu diesem BGH-Urteil anzuschauen. Während das LG Chemnitz mit Urteil vom 26. August 2020 (4 O 639/20) der Zahlungsklage des Vermieters im vollen Umfang stattgab, hielt es das OLG Dresden (Urteil vom 24. Februar 2021 – 5 U 1782/20) für angemessen, die Mietzinszahlungspflicht des Mieters pauschal um 50 % zu reduzieren. Schon allein da das Urteil des BGH zur Auflösung dieser unklaren Rechtslage führt, ist es zu begrüßen. Darüber hinaus hat der BGH eine ausgewogene Lösung für dieses Problem gefunden, das keine Vertragspartei zu vertreten hat.

Der BGH blieb im Grundsatz der rechtlichen Wertung treu, dass das Nutzungsrisiko für gewerbliche Flächen grundsätzlich allein der Mieter trägt. Zudem war es dem Vermieter durch die behördliche Schließungsanordnung nicht unmöglich geworden, dem Mieter die Mietsache zum vereinbarten Zweck zu überlassen. Die behördliche Schließungsanordnung knüpfte nämlich allein an der Nutzungsart und dem sich hieraus gegebenen Publikumsverkehr an. Weder wurde dem Mieter durch die behördliche Schließungsanordnung die Nutzung der angemieteten Geschäftsräume im Übrigen verboten noch dem Vermieter tatsächlich oder rechtlich die Überlassung der Mieträumlichkeiten. Auch führe die Vereinbarung eines Mietzweckes der Räumlichkeiten „Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs“ nicht zum Vorliegen eines Mangels, da der Mieter redlicherweise nicht davon ausgehen könne, dass der Vermieter durch diese Formulierung eine Einstandspflicht auch für den Fall einer hoheitlich angeordneten Öffnungsuntersagung im Fall einer Pandemie übernehmen wolle.

Der BGH stimmte jedoch der Rechtsauffassung des OLG zu, dass die Corona-Pandemie mit ihren massiven gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Folgen zu einer Störung der Geschäftsgrundlage im Mietverhältnis geführt hat. Das OLG hielt es deswegen für angemessen, pauschal den Mietzins für den Zeitraum der Betriebsschließung um 50 % herabzusetzen. Dies begründete das OLG damit, dass die Corona-Pandemie für beide Vertragspartner gleichermaßen unvorhersehbar war und deswegen das aus der Pandemie folgende Risiko gleichmäßig zu verteilen sei. Der BGH hingegen hielt die pauschale Herabsetzung des Mietzinses um 50 % für rechtsfehlerhaft, da die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 Satz 1 BGB eine normative Wertung verlange, die eine umfassende Abwägung im Einzelfall erfordere.

Bei dieser Interessenabwägung ist nach Auffassung des BGH zunächst von Bedeutung, welche Nachteile der Mieter durch die Geschäftsschließung erlitten hat. Hierbei ist jedoch keine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters erforderlich. Bei einem gewerblichen Mieter sind die Nachteile des Mieters primär der konkrete Umsatzrückgang für das jeweilige Mietobjekt. Andererseits ist zu berücksichtigen, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder hätte ergreifen können, um den Umsatzrückrang während der Geschäftsschließung zu vermindern. Da dies jedoch nicht zu einer Überkompensation der entstandenen Verluste führen darf, sind ebenfalls die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die mit der Schließung einherging. Dies sind insbesondere staatliche Leistungen zum Ausgleich der Schließung des Ladenlokals und Leistungen einer einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters (hierzu vgl. eine weitere BGH-Entscheidung mit Urteil vom 26. Januar 2022 – IV ZR 144/21, wonach maßgeblich für die Zahlungspflicht der Versicherung ist, ob Corona in den AGB der Versicherung als abgesicherte Krankheit erfasst ist). Staatliche Unterstützungsmaßnahmen hingegen, die nur als Darlehen gewährt werden, werden nicht berücksichtigt, da diese keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen darstellen. Abschließend sind bei der Abwägung auch die Interessen des Vermieters zu berücksichtigen.

Da eine solche Interessenabwägung vom OLG Dresden nicht vorgenommen wurde, hat der BGH den Rechtsstreit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung und ggf. Beweiserhebung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Es bleibt abzuwarten, wie das OLG Dresden im vorliegenden Einzelfall die Interessensabwägung vornehmen wird und ob und ggf. in welcher Höhe danach eine Mietminderung für wirksam erachtet wird.

Zudem führte der BGH in seinem Urteil noch ergänzend aus, dass grundsätzlich im Mietvertrag das Risiko der behördlichen pandemiebedingten Nutzungsuntersagung bzw. Schließungsanordnung einseitig zu Lasten einer Vertragspartei geregelt werden könne. Die Regelung im streitgegenständlichen Mietvertrag (§ 5 Nr. 3) genüge jedoch nicht, um das Risiko alleine auf den Mieter zu übertragen, da diese Regelung sich nur auf Mängel und Schadensansprüche des Mieters beziehe und nicht die Störung der Geschäftsgrundlage erfasse. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass der BGH, sofern eine entsprechende Klausel vorläge, auch eine einseitige Risikoverteilung zu Lasten einer Vertragspartei zugelassen hätte.

Fazit

Nach der bis zur Corona-Krise vorherrschenden Rechtslage lag das Risiko der Nutzung der Mietsache und damit auch der Zahlung der vertraglich vereinbarten Miete und folglich auch das wirtschaftliche Risiko im Falle einer behördlichen Anordnung zur Ladenschließung grundsätzlich alleine beim Mieter. An dieser Risikoverteilung hat der BGH in seinem jüngsten Urteil im Kern zwar festgehalten. Er weicht jedoch insoweit davon ab, dass er es für unzumutbar hält, dem Mieter in einer für alle Beteiligten unvorhersehbaren Situation, die mit massiven Einschränkungen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens einherging, das alleinige Risiko der Nutzung der Mieträume aufzubürden, sofern keine entsprechende vertragliche Regelung besteht. Vielmehr hat sich der BGH für eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall entschieden, so dass für jeden einzelnen Fall eine interessengerechte Lösung gefunden werden kann.

Handlungsempfehlung

Wir empfehlen allen Parteien eines gewerblichen Mietvertrages, in allen noch offen Fällen eine einvernehmliche Lösung zu finden. Auch wenn das Urteil des BGH im Wesentlichen den Prüfungsmaßstab festlegt, muss noch eine richterliche Wertung im Einzelfall erfolgen, so dass der Ausgang dieser Verfahren nicht vorhergesagt werden kann. Für zukünftige Fälle sollten Vermieter und Mieter bereits jetzt eine entsprechende Vertragsergänzung vereinbaren. Bei dem zukünftigen Abschluss von Mietverträgen, sollte darauf geachtet werden, dass diese eine Klausel enthalten, wonach eine Risikoverteilung vorgenommen wird und die Folgen einer zukünftigen behördlichen Schließungsanordnung für die Pflicht des Mieters zur Zahlung des Mietzinses und dessen Höhe geregelt sind.

Sofern Sie Fragen zu diesem BGH-Urteil beziehungsweise Ihrem Mietvertrag, zur vertraglichen Anpassung Ihres aktuellen Mietvertrages oder zur vertraglichen Gestaltung zukünftiger Mietverträge haben, stehen wir Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung

 

Ihr Ansprechpartner:

Jochen Wiethaus

Rechtsanwalt

(0211) 1725754

j.wiethaus@egsz.de

 

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