Aktuelle News aus dem Bereich Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht

Vergleichbarer arbeitsrechtlicher Schutz für Geschäftsführer einer GmbH

Auch Geschäftsführer haben Anspruch auf Urlaubsabgeltung, sofern der ihnen zustehende Urlaub während der Dauer der Tätigkeit nicht in natura genommen werden konnte.

Sachverhalt:

Die Parteien streiten im Wesentlichen um die Wirksamkeit eines Gesellschafterbeschlusses, was allerdings Auswirkungen auf den Urlaubsanspruch des Geschäftsführers hat. Gesellschafter der beklagten Gesellschaft waren der Kläger zu 30 % und eine Gesellschaft in der Rechtsform einer GmbH (nachfolgend als „X-GmbH“ bezeichnet) zu 70 %. Im Gesellschaftsvertrag war vorgesehen, dass über die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern sowie den Abschluss, die Änderung und die Beendigung ihrer Dienstverträge die Gesellschafterversammlung durch einstimmigen Gesellschafterbeschluss entscheiden sollte. Im Übrigen waren alle Gesellschafterbeschlüsse einstimmig mit den abgegebenen Stimmen zu fassen, soweit das Gesetz oder der Gesellschaftsvertrag keine andere Mehrheit zwingend vorschrieb. In Bezug auf die Abhaltung von Gesellschafterversammlungen war geregelt, dass die Versammlung beschlussfähig sein sollte, wenn mindestens 75 % aller Stimmen vertreten waren und, sollte dies nicht der Fall sein, innerhalb von zwei Wochen eine neue Gesellschafterversammlung mit gleicher Tagesordnung einzuberufen sei, die dann ohne Rücksicht auf die vertretenen Stimmen beschlussfähig sein sollte. Geschäftsführer der Beklagten waren der Kläger sowie der Geschäftsführer der X-GmbH. Ausweislich des zwischen den Parteien geschlossenen Dienstvertrages war die Beklagte jederzeit berechtigt, den Kläger von seiner Verpflichtung zur Dienstleistung unter Beibehaltung seiner Bezüge freizustellen. Der Geschäftsführer der X-GmbH lud den Kläger im Folgenden zu einer Gesellschafterversammlung der Beklagten mit dem Tagesordnungspunkt "Freistellung des Geschäftsführers" und wies dabei darauf hin, dass der Kläger über den Beschlussgegenstand „Freistellung als Geschäftsführer“ nicht stimmberechtigt" sei, was sich aus § 47 Abs. 4 GmbHG ergebe. Da der Kläger trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zur Versammlung erschien, lud der Geschäftsführer der X-GmbH den Kläger zu einer weiteren Gesellschafterversammlung, welcher der Kläger erneut fernblieb. Im Rahmen der zweiten Gesellschafterversammlung stimmte der Geschäftsführer der X-GmbH dafür, den Kläger "widerruflich und unter Verrechnung mit etwaigen offenen Urlaubsansprüchen" freizustellen und stellte das Zustandekommen eines entsprechenden Beschlusses fest. In der Folge betrieb die X-GmbH noch die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer. Der Kläger schied mit Ablauf des 31. Dezember 2016 als Gesellschafter der Beklagten aus. Mit seiner Klage in erster Instanz begehrte der Kläger unter anderem die Nichtigkeit des streitgegenständlichen Gesellschafterbeschlusses, hilfsweise jedenfalls insofern, als dieser zum Gegenstand hat, ihn unter Anrechnung seiner Urlaubsansprüche widerruflich freizustellen. Das Landgericht Siegen hatte im Wege eines Teilurteils über die Wirksamkeit des Beschlusses befunden, die Beklagte insofern auf der Grundlage des Hilfsantrags verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag in vollem Umfang weiterverfolgt. Das OLG Hamm hat die Berufung mit Urteil vom 19. Juli 2018 zurückgewiesen.


Kernaussagen der Entscheidung:

Nach Auffassung des OLG Hamm sei der streitgegenständliche Gesellschafterbeschluss nach § 242 BGB treuwidrig und daher materiell rechtswidrig. Der Senat begründet seine Entscheidung damit, dass die X-GmbH dem Kläger mit ihrem falschen Hinweis, er sei in der Gesellschafterversammlung nach § 47 Abs. 4 GmbHG nicht stimmberechtigt, suggeriert habe, dass sich sein Erscheinen zur Gesellschafterversammlung mangels Stimmrechts ohnehin nicht auszahlen werde. Erscheine der Kläger dann tatsächlich nicht zur Versammlung, resultiere hieraus wiederum trotz der dem Kläger objektiv grundsätzlich zustehenden Möglichkeit, einen Beschluss seine Freistellung betreffend zu verhindern, eine gesteigerte Treuepflicht der Mitgesellschafterin. Dies gelte erst recht mit Blick auf den Umstand, dass der Beschluss inhaltlich über die bloße Freistellung des Klägers hinausging und die Gefahr eines Wegfalls etwaiger Urlaubsansprüche in sich barg. Indem die X-GmbH einen Beschluss mit dem Inhalt gefasst habe, den Kläger widerruflich unter Anrechnung etwaiger Urlaubsansprüche freizustellen, habe sie die ihr obliegende Treuepflicht verletzt. Denn wäre der Kläger als damaliger Gesellschafter der Beklagten an den Inhalt des Beschlusses gebunden, hätte dies mit Blick auf dessen zwischenzeitliches Ausscheiden aus der Gesellschaft den ersatzlosen Verlust seiner zum Zeitpunkt noch offenen Urlaubsansprüche zur Folge.

Nicht nur die Beziehungen zwischen Gesellschaftern und GmbH, sondern auch die der Gesellschafter untereinander können nach Ansicht des OLG Hamm von der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht bestimmt sein. Gesellschafter stünden sich nicht wie beliebige Dritte gegenüber, sondern befänden sich auch untereinander in einer rechtlichen Sonderverbindung, die wechselseitige Rücksichtnahmepflichten auferlege. Unter welchen besonderen Voraussetzungen eine Treuepflichtverletzung angenommen werden kann, hängt nach Ansicht des OLG Hamm davon ab, welche satzungsmäßigen Zwecke die Gesellschaft verfolgt, wie sie gesellschaftsintern gestaltet ist und welchen Umfang die Mitgliedschaft hat, außerdem aber auch davon, ob bereits die gesetzlichen und satzungsmäßigen Regelungen den benachteiligten Mitgliedern ausreichenden Rechtsschutz gewähren.

Der Verstoß gegen die Treuepflicht habe nach Ansicht des OLG Hamm vorliegend besonders schwer gewogen, da der Beschluss den Verlust von Urlaubsansprüchen des Klägers zur Folge gehabt habe. Durch die Widerruflichkeit der Freistellung sei dem Kläger die uneingeschränkte und selbstbestimmte Nutzung seines Urlaubsanspruches genommen worden, was jedoch in Anlehnung der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung unzulässig sei. Denn nach ständiger arbeitsgerichtlicher Rechtsprechung muss es dem Arbeitnehmer möglich sein, die ihm aufgrund zustehender Urlaubsansprüche zustehende Freizeit uneingeschränkt selbstbestimmt zu nutzen. Dieser im Arbeitsrecht verankerte Grundgedanke ist nach Auffassung des OLG Hamm auch auf einen vergleichbaren Fall des Geschäftsführers einer GmbH übertragbar.

 

Praxisfolgen:

Die Entscheidung stellt zum einen klar, dass ein Stimmrechtsverbot nicht bereits immer dann eingreift, wenn ein Gesellschafterbeschluss das Gesellschafter-Geschäftsführerverhältnis betrifft. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob der Gesellschafter sein Mitgliedschaftsrecht ausübt.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich § 47 Abs. 4 GmbHG nur auf Rechtsgeschäfte bezieht, die die Gesellschaft mit einem ihrer Gesellschafter als einem Dritten abschließt und da nicht eingreift, wo der Gesellschafter sein Mitgliedschaftsrecht ausübt. Darum ist ein Gesellschafter etwa auch bei seiner Wahl zum Geschäftsführer nicht vom Stimmrecht ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteil v. 29.09.1955, Az. II ZR 225/54 = NJW 1955). Eine Abstimmung über solche innergesellschaftlichen Angelegenheiten gehört zu den Mitverwaltungsakten, bei denen alle Gesellschafter der Sache nach zur Mitwirkung berufen sind; insofern ist die Vorschrift des § 47 Abs. 4 GmbHG einschränkend auszulegen (BGH, Urteil v. 09.12.1968, Az. II ZR 57/67 = NJW 1969). Nichts anderes hat nach Auffassung des OLG Hamm mit Blick auf die Abstimmung über eine Freistellung des Klägers als Geschäftsführer der Gesellschaft zu gelten.

Wird dem Gesellschafter mit einem falschen Hinweis suggeriert, sein Erscheinen zur Gesellschafterversammlung werde sich in Ermangelung eines Stimmrechts ohnehin nicht auszahlen und erscheint der Gesellschafter dann tatsächlich nicht zur Gesellschafterversammlung, resultiert hieraus trotz der dem Gesellschafter objektiv grundsätzlich zustehenden Möglichkeit, einen Beschluss seine Freistellung betreffend zu verhindern, eine gesteigerte Treuepflicht des einladenden Gesellschafters. Ein Gesellschafterbeschluss, ausweislich der ein Geschäftsführer widerruflich unter Anrechnung noch vorhandener Urlaubsansprüche von seiner Geschäftsführertätigkeit freigestellt wird, verstößt gegen die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten. Insoweit sind die von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Freistellung bei gleichzeitiger Urlaubsabgeltung auch auf den GmbH-Geschäftsführer übertragbar.

In Anlehnung an die ständige arbeitsgerichtliche Rechtsprechung muss es dem Arbeitnehmer möglich sein, die ihm aufgrund zustehender Urlaubsansprüche zustehende Freizeit uneingeschränkt selbstbestimmt zu nutzen. Eine Anrechnung von Urlaubsansprüchen während der Dauer der Freistellung ist daher nur dann zulässig, wenn die Freistellung unwiderruflich angeordnet wird. Auch Geschäftsführer haben daher zukünftig einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung, sofern der ihnen zustehende Urlaub während der Dauer der Tätigkeit nicht in natura genommen werden konnte oder aber die Freistellung nicht unwiderruflich angeordnet wurde.

 

Quelle: OLG Hamm, 19.07.2018, 27 U 14/17

 

 
Ansprechpartner:

Andreas Doerenkamp
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Telefon: +49-211-17257-67
E-Mail: a.doerenkamp@egsz.de

 Zur Übersicht